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Schweizer Fachzeitschrift
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«Grüezi Frau Summermatter, was machen denn Sie hier? Mit Ihnen hätte ich jetzt gar nicht gerechnet, Moment mal, Sie sind doch aus Niederweningen, gell?»

«Ja, man muss etwas für die Bildung tun, wenn man nicht abgehängt werden will, nicht wahr? Und Sie, interessieren Sie sich auch für die Zukunft?»

Siri neben dem Mango-Chutney-Schälchen mischt sich unverhofft ins Gespräch: «Entschuldigung, ich verstehe ‹Zukunft› nicht.» Ich, ungehalten: «Siri, halt die Klappe.»

«Ich versuche doch nur zu helfen», meint meine Assistentin. «Langweilst du dich?» «Mir genügt, was ich habe.» «Du bist eine wahrhaftige Frau, meine Liebe.» Siri gibt unberührt zurück: «So hat jeder seine eigene Meinung.» Diskret heble ich die Lautstärke auf «Aus», denn das ist nun gar nicht angesagt, dass jede ihre eigene Meinung hat, das wäre ja noch schöner.

Summermatter verfolgt unseren Dialog schmunzelnd, derweil sie sich ein gedipptes Stück Stangensellerie reinschiebt. «So, wie fanden Sie die Vorträge bis jetzt?»

«Ganz interessant», moniert Summermatter, «der Professor Widmer am Anfang war super, dann hats etwas nachgelassen.»

«Ich bin vor allem hier, um Kontakte zu knüpfen», entgegne ich, «es prognostiziert heute ja sowieso jeder etwas anderes. Früher war alles einfacher, das Tastentelefon zum Beispiel, welches 1964 die Wählscheibe ablöste, hat sich bis heute erhalten, nicht wahr, wenngleich die Spracherkennung enorme Fortschritte verzeichnete. Ich erinnere mich noch ganz genau an die MacWorld in Boston, das muss so um 94 gewesen sein, als der erste PowerMac vorgestellt wurde, da gabs so kleine Mikrofönchen auf dem Bildschirm und man konnte dem Mac befehlen: ‹computer, open the window›. Wie von Zauberhand öffnete sich ein Fenster. Oder ‹computer, shut down› stellte den Compi ab. Da bekam die ganze Apfelschar glänzende Augen. Es funktionierte einfach, ohne dass der Mac zu jeder Anweisung eine blasierte Antwort gab.»

Neben mir outet sich ein Turbanträger von der United Financial als rückständiger Brombeeren-Anwender: «Aaba Sichaheit, Sichaheit, da kann jeda i Distänz vo fümf Meter mitskimma.»

«Das Problem lässt sich nur lösen, wenn Siris Kinder endlich denken lernen, nicht einfach drauflosschwatzen, denken sollen sie in Palatino Alto!» wirft Summermatter ein.

Ich bin ganz ihrer Meinung: «Es ist doch keine Lösung, wenn man für einen Buchstaben bis zu fünf Mal anschlagen muss. Da war ich ja im Bleisatz schneller, 1650 Buchstaben glatter Satz die Stunde, auf 24 Cicero ausgeschossen, mit null Fehlern! Und überhaupt sind Tastaturen veraltete Relikte, die verschwinden werden wie die Optical Discs, die die Neunziger prägten. Kein Mensch wird morgen noch eine Telefonnummer brauchen, die heute schon keiner mehr behalten kann. Oder, Frau Summermatter, wissen Sie etwa die Telefonnummer Ihrer nächsten Angehörigen auswendig?»

Summermatter zieht das Handy hervor und swipt über ihre Kontakte. Die Frage ist beantwortet.

«Ist doch bescheuert, wie wir heute mit PIN-Codes, Versicherungsnummern, Vertragsnummern, Kundennummern, Cumulus-Nummern, AHV-Nummern, Schuhnummern, Kastennummern (nur Boris Becker) und anderen Nummern drangsaliert werden. Da hats jeder Hund besser. Dank eines Chips wird er jederzeit rechtsgültig und schuldfähig erkannt.»

Ich entgegne: «Morgen möchte ich im Schuhgeschäft in einen 3D-Scanner stehen, der mir sofort den richtigen Schuh mit dem passenden Fussbett empfiehlt. Ich erinnere mich an meine Kindheit, da gabs in jedem Schuhladen ein Fluoroskop, eine längliche Kiste, in die man oben reingucken konnte und man sah auf einer Milchglasscheibe, wie seine Zehen sich im Schuh bewegten. Der Schuhmacher stellte damals mit Röntgenstrahlen fest, ob die Schuhe sassen oder nicht, ein Riesenspass für die ganze Familie. Schliesslich waren Schuhe früher fürs Leben gedacht, und die Kinder konnten ja nicht sagen, wo es weh tut. Vor über 50 Jahren war man strahlenmässig noch nicht so renitent wie heute.»

«Und ich möchte beim ÖV-Benützen ganz einfach durch ein Gate gehen», meint Summermatter, «und die Zahlung durch Drücken des Home-Buttons am Handy bestätigen. Dieses millionenfache Ausdrucken eines Tickets ist doch Papierverschwendung, wo landet das Ticket anschliessend, hä? … In Googles Littering-Abteilung!»

Ich entschuldige mich kurz für einen neuerlichen Gang zu den leckeren Satay-Spiesschen, die einladend auf FSC-Holzspänen Spalier liegen, und lege gleich drei davon auf meinen fingergelochten Teller mit Weinglashalterung. Ein Hobelkäseröllchen auf Oliventapenade-Töstchen und ein Löffelschälchen mit Scampi belohnen meinen Buffetgang. So kämpfe ich mich tapfer und möglichst ohne anzustossen durch die Menge, die wie immer direkt am Buffet den Weg versperrt.

«Mit dem neuen iPad werden die Karten wieder neu gemischt», wende ich mich Summermatter wieder zu. «Eine sensationelle Bildschirmdarstellung, dieses Rezina-Display. 264 ppi Auflösung! Gestochen scharfe Zeitungsartikel! Nicht nur im ‹Blick›! Ich muss mir also schon überlegen, ob ich das Zeitungsabo canceln soll. Papierabo und App, beides ist mir zu teuer, und da ich aufs iPad nicht verzichten will, muss das Papier weg. Der Weg führt sowieso vom Papier weg Richtung elektronische Befriedigung. Rechnungen, Kontoauszüge, Versicherungspolicen, Quittungszettel, das brauchen wir doch nicht wirklich in Papierform, oder?»

Summermatter meint, sie habe schon von LED-Plakaten geträumt, welche das Angebot den Zielgruppen automatisch anpassen würden. Am Morgen habe die APG, die unterdessen von Facebook «gepostet» worden sei, die Mütter, die ihre Kinder im SUV in den Kindergarten fuhren, mit LED-Plakaten beleuchtet, die «Apocalypse Now II» angekündigt hätten. Abends würde der heimkommende Ehemann von Elite Partners an ein viel schöneres Leben erinnert und über Mittag würden die Gewerbler auf dem Weg in die Stammkneipe auf Wimpernverlängerung aufmerksam gemacht.

«Super … und dank genauer Handyortung und Gesundheitschip unter der Haut zeigen alle Plakate, an denen ich vorbeiziehe – nur für mich exklusiv – das zu den Körperdaten passende Kopfwehmittel, das ich gleich 100 Meter um die Ecke mit 20% Rabatt und 200 Bonuspunkten in der Apotheke erhalten kann. 30% des Verkaufspreises gehen an APG, 30% an Apple, 30% an Vifor und 30% an den Apotheker. Genau so wird die Welt finanziell gesunden.»

«Es wird nicht mehr lange dauern, und der Traum wird Realität. LED ist alleweil klimaschonender als Plakatpapier», überlegt sie, «nur die Auflösung dürfte noch etwas besser sein, im Moment steht sie bei 1 ppi. Was genau genommen keine Rolle spielt, denn die heute von den Grafikern eingesetzten Schriftgrössen sind eh zu klein, die kann man weder mit 1 ppi noch mit 264 ppi lesen.»